Donnerstag, 24. Juni 2010

Artikel. Der stolze Stamm der Bakofeng und der Kampf gegen Aids

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Meine Anmerkungen


Alfos Batke zu Besuch im modernsten Jugendzentrum Afrikas . „LoveLife“ setzt auf Prävention und will Kinder und Jugendliche stärken.

Boomtown Rustenburg. 107 000 Menschen leben hier in der Provinzstadt der Region Northwest. Der WM-Schauplatz, möglicherweise Austragungsort eines Achtelfinals mit deutscher Beteiligung, ist die am schnellsten wachsende Stadt Südafrikas. Eine prosperierende Kommune, zu verdanken hat sie den Reichtum zwei großen Platinminen. Rustenburg, so sagt man, ist die Platin-Hauptstadt der Welt. Rustenburg hat Arbeit und zieht demnach Arbeiter an. Und Aids. „loveLife“, eine Partnerorganisation des Deutschen Entwicklungsdienstets (DED), kämpft dagegen an.

Es sind ueber 20 Platinminen... nicht nur 2.

Wir sind im Dorf Luka, keine zehn Kilometer entfernt vom WM-Stadion Royal Bakofeng. 44 530 Zuschauer finden hier Platz. Es ist eine in die Landschaft gepflanzte neuzeitliche Arena. König Leruo hat sie im Schatten der Magaliesberge bauen lassen. Leruo ist Oberhaupt des stolzen Stammes der Bakofeng. Er gilt als der reichste Stamm Afrikas, Platin sei Dank. Und der Stammesfürst zeigt sich als Wohltäter. Nicht nur dass er Tausende WM-Tickets für seine Minenarbeiter kaufte – er subventionierte auch maßgeblich den Bau des Jugendzentrums Bakofeng in Luka.

Die Anlaufstelle für Kids, Teens und Twens bis 23 haben sie direkt neben der Thete Highschool Ende 2009 eröffnet. Es ist das wohl modernste Jugendzentrum des Kontinents. Eine zeitgemäß eingerichtete Krankenstation, ein Computerraum mit 14 PCs, ein Billardtisch, eine Tischtennisplatte, ein hochmodernes Studio mit einem DJ, der nachmittags das gesamte Gelände mit heißen Rhythmen beschallt.
Auf dem Bolzplatz kicken die Jungs, einige Mädels versuchen sich im Basketball, andere studieren die Choregrafie des Diski-Dance ein, einer der WM-Hymnen. In einem anderen Raum sitzen 17 Jugendliche, schauen sich die Partie Griechenland gegen Nigeria an und sind völlig entsetzt, dass das Rehhagel-Team die Partie noch zu seinen Gunsten wendet.

Eigentlich war das den wenigen Zuschauenden schnurzpiepegal, wie Greece oder Nigeria spielen, geschweige denn, dass jemand dort mit "Rehagel" viel anfangen konnte ;-)

Wenn die Kinder das Gelände der Thete Highschool betreten, sehen sie sich mit der Realität des südafrikanischen Alltags konfrontiert. „Lasst uns die Kriminalität an unserer Schule stoppen“, prangt es von den Schildern. Oder: „Sei cool, geh zur Schule.“ Oder: „Schluss mit Kindesmissbrauch.“

Conny Jager ist seit vielen Jahren Entwicklungshelferin und weiß, dass die Slogans Reflexe auf die Wirklichkeit sind. Insbesondere in Zusammenhang mit Aids. Nahezu jeder fünfte Südafrikaner im Alter zwischen 15 und 49 Jahren trägt das HI-Virus in sich, von der Gesamtzahl der Menschen, die infiziert sind, nimmt die Kap-Republik weltweit die Spitzenposition ein. Nach einer UNO-Studie sind es 5,7 Millionen. „Die Hälfte der Neuinfektionen findet bei 15- bis 24-Jährigen statt. Der Schulabgang ist die Zeit der höchsten Ansteckungsgefahr“, sagt Jager. Ein nicht unmaßgeblicher Faktor in diesem Zusammenhang sind die in Südafrika weitverbreitete und durchaus legale Polygamie, häusliche sexuelle Gewalt, Prostitution und ein erschreckend hohes Maß an Vergewaltigungen. Jager: „Sexuellen Missbrauch gibt es unter fast jedem Dach.“

Trotz dieser erschütternden Diagnose will „loveLife“ den Status quo ändern und setzt dabei auf Prävention, Deshalb gibt es solche Einrichtungen wie das Jugendzentrum Bakofeng in Luka nahe Rustenburg und weitere 17 im Land. „Wir möchten mithelfen, die Infektionsrate mittelfristig zu halbieren. Wir wollen Kinder und Jugendliche nicht nur aufklären, sondern durch die Angebote auch das Selbstvertrauen stärken“, formuliert Jager ein ehrgeiziges Ziel und weiß, dass das nur geht, wenn man auf die Mentalität der Menschen eingehen kann.

Norbert Herrmann aus Berlin ist einer der strategischen Köpfe von „loveLife“. Der ausgebildete Volkswirt beteiligt sich daran, eine zeitgemäße technische Infrastruktur zu schaffen, um die Kernzielgruppe der 12- bis 19-Jährigen zu erreichen. „Manchmal muss man auch etwas frecher sein. Als wir bei einer unserer Kampagnen einen nackten Mädchenrücken zeigten, war der Aufschrei der Empörung groß. Aber wir hatten die Aufmerksamkeit“, berichtet Herrmann.

Doch mit der Verbreitung von Botschaften wie „Kondome sind gut“ ist es nicht getan. Herrmann überprüft die Effizienz des Callcenters der größten HIV-Präventionsorganisation Südafrikas. Im „loveLife“-Zentrum von Johannesburg beantworten 40 ausgebildete Berater im Callcenter Fragen zu Aids und HIV in den elf Landessprachen. Die Hotline nehmen pro Monat mehr als 100 000 Anrufer in Anspruch, „loveLife“ erreicht etwa eine Million junge Menschen.

Zurück nach Luka: Wir treffen Masindi (11), Sandra (11) und Given (12), die sich nach dem Internet-Surf noch auf dem Basketballfeld austoben. Sie finden das Jugendzentrum klasse, sie finden insbesondere Anne Sophie Waag klasse. Die 20-Jährige aus Berlin arbeitet für das DED-Programm „weltwärts“, hat nach dem Abitur ihr freiwilliges Jahr in Südafrika begonnen und ist der umschwärmte Mittelpunkt der Kiddies aus Luka und Umgebung.

Vormittags geht sie in die Schule und leistet buchstäblich Aufklärungsarbeit, wenn es um das hochsensible Thema Sexualkunde geht. Nachmittags im Jugendzentrum gibt sie Impulse in Arbeitsgruppen oder versucht sich als Moderatorin zwischen Eltern und Kindern: „Probleme werden zu Hause kaum diskutiert und auch nicht ausgeräumt, weil eine gewisse Sprachlosigkeit besteht. Da fällt es vielen leichter zu reden, wenn jemand dabei ist.“

Voraussetzung dafür ist Vertrauen, und das hat sich Waag in den Monaten von Luka erworben. Sie ist die einzige Weiße im Dorf, lebt in einer Gastfamilie und weiß mithin mehr über den Alltag und die Befindlichkeiten als so mancher Sozialforscher. Deswegen findet sie es auch gut, dass „loveLife“ so nah an der Basis arbeitet. Das Präventionskonzept wird nicht nur von den Einrichtungen an sich getragen, sondern auch von 1200 „groundBreakern“. Junge Menschen aus der Region, 18 bis 23 Jahre alt, eingestellt mit der Bedingung, ihr Abitur geschafft zu haben. „loveLife“ zahlt ihnen 888 Rand pro Monat (etwa 100 Euro).

„groundBreaker“ sind Respektspersonen in ihrer Gemeinde, genauso wie die „gogoGetters“ – ältere Damen, die vom Präventionskonzept überzeugt sind und ihre Oma-Autorität einbringen. Ach ja: Masindi, Sandra und Given. Sie haben sich ausgetobt an diesem Nachmittag. „Anfangs waren unsere Eltern dagegen, dass wir hierhin gehen. Aber mittlerweile freuen sie sich, dass wir hier so viel unternehmen können und gut aufgehoben sind. Und Anne Sophie kennengelernt haben.“ Ihre große weiße Schwester muss bald gehen, zum 1. August hat sie ihr „weltwärts“-Jahr beendet. Für eine Nachfolge ist gesorgt. Und das Projekt wird weitergehen – auch wenn die WM längst Geschichte ist.

Es gibt weitere ded-Freiwillige bei loveLife, allerdings nicht in Luka. 4 Weltwaertsler werden in drei Jugendzentren in Kwa-Zulu-Natal gesendet werden.


Dieser Eintrag wurde am Montag, 21. Juni 2010 um 18:39 erstellt und ist abgelegt unter Reporter unterwegs im Trainingslager
http://www.neue-oz.de/reporter-unterwegs/?p=285


Mein Abschlusskommentar: Ich mag den Artikel!

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