Sonntag, 27. Dezember 2009

Tod in Südafrika

Am Freitag den 18. Dezember verstarb Onkel Mpho. Noch am Vormittag hatte er mit seinem Cousin im Garten einige Häuser weiter gearbeitet und als er sich dann nach dem Mittagessen vom Stuhl erheben wollte, kippte er nach hinten weg und schlug mit dem Kopf an die Wand. Zuerst bewusstlos, dann mit Krämpfen auf dem Boden windend und dann „schlafend“ wurden Mmama und ich erst am Abend benachrichtigt, wir sollten den Onkel doch bitte nach Hause bringen.

Als ich am Ort des Geschehens ankam, ahnte ich sofort das Schlimmste. Auch wenn die alten Damen noch um ihn rum saßen, ihn befühlten und sich unentwegt zuriefen, er sei doch noch warm. Es war zu spät. Da Mmama wusste, dass man ihr nicht glauben würde, wenn sie die Wahrheit über Mphos Zustand erklärte, holte sie eine Nachbarin hinzu, ihres Zeichens Krankenschwester und ließ diese den unruhigen Anwesenden die Nachricht übermitteln. Der Schock war allen ins Gesicht geschrieben und keiner wollte es wirklich wahrhaben. Ich wurde mit Phenyo nach Hause geschickt und war somit diejenige, die es Yvonne sagen musste.

Der Abend war ziemlich schrecklich, da alle paralysiert waren, gleichzeitig aber die Dokumente und der Leichenwagen organisiert werden mussten, um den Onkel in die „moshery“ zu bringen. Alle Verwandten und Freunde wurden angerufen, Nachbarn informiert und die meisten beschuldigten uns noch eines schlechten Scherzes: Onkel Mpho – der verrückte, witzige alte Mann, der einfach immer zugegen gewesen war und schon jeden Mal zum Lachen gebracht hatte. Nun war er einfach gegangen.

Am Samstag standen alle sehr früh auf, denn es gab einiges vorzubereiten. Ich war von 9- 12 Uhr zur Arbeit im Y- Centre, da es der letzte Tag unseres Workshops war und wir unsere Abschlusssendung hatten. Anschließend ging ich direkt heim, um mit anzupacken: Die gesamte Bekleidung Mphos, alle Bettücher und Vorhänge wurde gewaschen, das Zimmer des Verstorbenen wurde bis aufs Bett und eine Kommode leer geräumt, die Zimmerwände ausgebessert und der Boden gefegt. Hier in Südafrika ist es Brauch, dass die „Hausmutter“ – hier Koko Nnoy - vom Tage des Todes bis ungefähr 2 Wochen danach auf einer Matte im Zimmer des Verstorbenen schläft, eventuell mit zwei bis drei ihrer Schwestern oder Cousinen, die über diesen Zeitraum dann dort wohnen. Den ganzen Tag und die ganze Nacht muss ein Licht den Raum erhellen, gleich ob Glühbirne oder Kerze.

Neben diesen häuslichen Vorbereitungen gab es allerdings auch einige Gäste zu bedienen, denn vom Tage des Todes an kommen jeden Tag Besucher, um mit den Hinterbliebenen zu trauern. Man kann sich jetzt darüber streiten, was trauern ist. Hier sieht das so aus, dass vom frühen Morgen bis späten Abend Männer und Frauen voneinander getrennt im Garten im Schatten sitzen, Tee trinken, Kekse essen, zu Mittag essen, zu Abend essen und sich unterhalten. Das bedeutete für mich Kekse backen, Tee kochen, die Herren bedienen, Kekse backen, abwaschen, Tee kochen, die Damen bedienen, abwaschen, Tee kochen,… Auch wenn es zum Servieren des Essens kommt, müssen immer die Herren zuerst bedient werden, dann kommen die Damen. Fragen hierüber sind überflüssig – Tradition.

Am Abend waren wir alle dann ziemlich erschöpft und ich ging früh schlafen.

Der Sonntag verlief ähnlich, ein Gastbruder und anderer Onkel strichen das Haus neu, das Zelt wurde im Vorgarten aufgestellt, die Kochstelle aufgebaut, der Rasen gemäht. Gegen 13 Uhr nach der Messe kamen dann die Kirchenmitglieder vorbei, es wurde ein kurzer Gottesdienst im Hause am Zimmer des Toten gehalten, gesungen und gebetet. Anschließend wieder Kekse angeboten und Fruchtsaft ausgeschenkt.

So ähnlich verging auch der Montag, außer, dass abends einige Freunde vorbeikamen und mich mit zu Madalas zum Braai nahmen. Das tat wirklich gut, da die Stimmung bei uns natürlich schon relativ gespannt und bedrückend war. Nur zwei Stunden draußen zu sein, laut lachen und Späße machen zu können, war sehr befreiend.

Am Dienstag nahm mich Mmama dann mit, um die Einkäufe für Mittwochnacht und Donnerstag zu unternehmen, auch weil alle meinten, ich arbeite ansonsten zu viel im Hause. So fuhren wir mit Thabo nach Rustenburg und machten Großeinkauf in einem Supermarkt, der voll mit Chinesen und anderen Shopbesitzern ist. (Denn die meisten lokalen Shops werden von Chinesen geführt. Aus irgendwelchen Gründen gehen die von Südafrikanern geleiteten Läden fast immer bankrott.) Es war rappelvoll sowie die gesamte Stadt kurz vor Weihnachten und ich kam mir mit unserem Rieseneinkaufswagen vor, wie beim Autoskooter. Als wir nachmittags zurückkamen, war erstmal ein langes, kühles Bad angesagt und dann versuchte ich etwas zu entspannen.

Mittwoch in der früh weckte ich Lucky auf, um für 7 Uhr bereit zum Aufbruch zu sein. Wir fingen ein Taxi in die Stadt (to fetch a taxi to town) und gingen dort auf Kleider-, Schuh- und Accessoires- Jagd. Trotz der frühen Stunde war es brütend heiß und wir waren mehr als erschöpft, als wir kurz nach 1 wieder daheim ankamen. In der Zwischenzeit war schon mehr Verwandtschaft aus dem Lande angerückt, denn die Nacht vor der Beerdigung gehört hier ganz essenziell mit zur Zeremonie dazu.

Um 18 Uhr war es dann soweit: Der Sarg wurde von der „moshery“ mit dem Leichenwagen zum Hause des Verstorbenen gebracht. Alle Trauergäste bildeten einen Pfad, inmitten dessen der Sarg bis zu Mphos Zimmer getragen wurde. Dort hatten sich inzwischen Koko Nnoy, die beiden Cousinen, Yvonne, Phenyo, Refilwe, Karabo und auch ich (somit ein Teil der Familie!) auf Mphos Bett zusammengefunden. Es hätte hochspirituell sein können, doch das Quietschen der Trage, das Keuchen der Männer, der immer wieder zusammenklappende Aufstellvorhang, das alles machte die Situation doch etwas skurril. Und trotzdem überkam mich ein Schauer, als ich dann an den Sarg geholt wurde und den in weiße Tücher gehüllten Mpho durch das Glas sah. Es war das erste Mal, dass ich einen Toten so gesehen habe.

Die Kleinen waren ziemlich aufgewühlt, Karabo hatte einen heftigen Weinkrampf und wir gingen mit ihnen raus, um sie zu beruhigen. Aber auch ich musste mich dann erst einmal etwas apart setzen, um Durchzuatmen und das Gesehene zu verarbeiten.

Inzwischen hatten Damen von der „society“ und andere Freunde begonnen, mehr Kekse zu backen, Karotten und Kartoffeln zu schälen, Tomaten zu reiben, Zwiebeln zu häuten, das Fleisch zu marinieren und überhaupt alle Zutaten für den kommenden Tag vor- und zuzubereiten. Den Rest der Nacht verbrachten wir draußen, die Männer mit ihren Getränken, die Frauen am Arbeiten und die Jüngeren (also meine Gastbrüder, Freunde von uns und ich) zusammensitzend. Nur gegen 3 Uhr entschied ich, mich für zwei Stunden hinzulegen. Um 5 ging ich ins Bad, zog mich um und war dann um 6 Uhr bereit für die Beerdigung.

Es gibt für solche Anlässe hier ganz bestimmte Kleidungsrichtlinien: So müssen die Männer neben Hose und Hemd auf jeden Fall ein Jackett tragen und die Frauen müssen Schultern, Knie und ihren Kopf bedecken. Die Farbauswahl der Bekleidung steht aber jedem ganz frei, es muss gar nicht schwarz sein.

Bis 7 Uhr kamen weitere Trauergäste aus ganz Luka und Umgebung dazu und unter dem Zelt im Vorgarten begann der Totengottesdienst. Es wurde wieder gesungen, gebetet, zwei Reden gehalten und die Grüße oder Wünsche der Familie an den Verstorbenen vorgelesen. Mit dem Kirchenlied „He is going home to die no more“ zog die ganze Trauergemeinde singend hinter dem Leichenwagen her bis zum Friedhof ans Grab. Die Familienmitglieder setzten sich unter das weinrote Zelt und alle anderen standen im großen Kreis um das Grab herum. Wieder wurden Worte vom Pfarrer verlesen, wir beteten und sangen und dann wurde der Sarg langsam hinabgelassen. Alle Männer, die sich dazu in der Lage fühlten, stellten sich in einer Schlange hinter das offene Grab und begannen der Reihe nach die Öffnung mit dem rotbraunen Sand zuzuschaufeln. Ob der Trockenheit staubte es unheimlich und wir mussten unsere Tücher vor Nase und Mund halten. Dann wurden Blumen und ein mit Mphos Namen versehenes Holzscheit auf das Grab gesteckt und wir traten den Rückweg an.

Die zurückgebliebenen Helferinnen hatten schon alles vorbereitet und an den beiden Eingangstüren zum Garten befanden sich mit Seife und grünen Paprikastückchen versehene Wassereimer, um sich die Hände zu reinigen. Wieder geschlechtergetrennt stellten sich die Gäste für das Totenmahl an und verteilten sich dann auf den Stühlen und anderen Sitzmöglichkeiten.

Am Nachmittag ging ich für einige Stunden mit Freunden zu Oupa nach Hause, da wir dort Platz hatten und etwas lebendiger sein konnten, doch als ich abends zurückkam, saßen immer noch viele Leute im Garten.

Ich hatte gedacht, dass es mit Donnerstag vorbei sei, doch bis heute noch haben wir täglich besuch von Verwandten, die den Tag hier verbringen und kräftig beim Resteessen helfen. Die einen sehen darin „emotionale Unterstützung“, andere nennen es glatt „Ausbeute – die sind doch froh, dass sie mal für eine Woche nicht kochen müssen und freie Mahlzeiten erhalten“. Wie auch immer, wir sind jetzt schon über eine Woche in die Beerdigungsvor- und Nachbereitungen eingebunden und eine kleine Auszeit vor Arbeitsbeginn täte hier allen gut.

Obwohl ich meinem geplatzten Urlaub in Cape Town schon nachtrauere, bin ich trotzdem davon überzeugt, dass dieses Erlebnis ganz wichtig war und mich noch mal um einiges näher an den hiesigen Kulturkreis und auch die Familie gebracht hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen